Der Basler Männerarzt Marco Caimi kennt nur noch ein Thema: Corona. Auf Youtube und an Demos will er die Gesellschaft wachrütteln. Ich wollte wissen: Ist er ein Verschwörungstheoretiker oder ein kritischer Bürger?

Joël Hoffmann

Joël HoffmannPubliziert heute um 06:40 Uhr18 Kommentare18

Marco Caimi befasst sich täglich mehrere Stunden mit Corona und wie die Medien darüber berichten.
Marco Caimi befasst sich täglich mehrere Stunden mit Corona und wie die Medien darüber berichten.Foto: Nicole Pont 

Es wäre ein Leichtes, den Basler Männerarzt und Kabarettisten Marco Caimi als Verschwörungstheoretiker, Corona-Clown oder gar Covidioten zu verunglimpfen. Die Munition dafür liefert er schliesslich selber: «Wir lehnen eure Mikrochips unter der Haut ab!» Oder: «Wir lehnen die Masken (…) die als sichtbares Herrschaftsinstrument eingesetzt werden, ab.» Oder: «Mr. Bill Gates (…) Mr. George Soros (…) Frau Merkel (…) Herr Engelberger (…) und an alle anderen skrupellosen Oligarchen und eingeschüchterten Politiker: Wir sagen friedlich und höflich: Nein danke!» Dies und Weiteres sagte Caimi in seiner Rede an der Corona-Skeptiker-Demo vom 29. August in Zürich unter dem Motto «Zurück zur Freiheit».WEITER NACH DER WERBUNGhttps://tpc.googlesyndication.com/safeframe/1-0-37/html/container.html

Doch Caimi ist mehr als diese Aussagen. Er ist ein Beispiel dafür, wie eine Krise die Psyche eines Menschen und der Gesellschaft beeinflussen kann. Er ist ein Beispiel dafür, wie rasch man nach Fehlleistungen von Politik und Medien in den Dunstkreis von Verschwörungstheoretikern gerät. An seiner Person kann man zeigen, dass die Grenze zwischen legitimer Kritik und Hysterie fliessend ist.

Caimi empfängt mich in seiner Praxis an den Neuweilerstrasse. «Darf ich Ihnen die Hand geben», fragt er. Ein Handshake wie vor einem Boxkampf, mit dem wir beide rechnen. Er hat mich in Erwartung eines «sicher auch giftigen» Gesprächs in seinem Youtube-Video angekündigt. Und an der Demo rügte er schliesslich: «Die Medien! Was seid ihr für eine Enttäuschung geworden.» Journalisten würden Menschen, die wie er für Grundrechte eintreten, nicht anhören, sondern beruflich und menschlich diffamieren. Der gepflegte 58-Jährige trägt Hemd, Weste und Bugatti-Sneaker. Wir gehen in sein Behandlungszimmer. Dort hängt ein gigantischer Büffelkopf über den braunen Ledersofas. Der Umgangston bleibt während des ganzen Gesprächs freundlich – auch kritische Nachfragen bringen ihn nicht aus der Ruhe.https://www.youtube.com/embed/e7w4NBx2jxw

Caimi, schweizweit als pointierter Männerarzt bekannt geworden, arbeitete bis zur Corona-Krise zu 60 Prozent in seiner Praxis. Daneben beriet er Unternehmen in Gesundheitsfragen und trat als Kabarettist auf. Doch Corona änderte alles. Seit März beschäftigt er sich täglich fünf bis sechs Stunden mit Recherchen zu Corona, dreht in seiner Praxis Youtube-Videos und verschickt Newsletter. Seinen Videokanal hatte er schon vor der Pandemie, sprach dort etwa über einen möglichen Einmarsch der USA in Venezuela. Doch seit März gibt es nur noch Corona.

«Ich hatte Verständnis für den Lockdown»

«Viele meiner Patienten haben wegen der Pandemie Existenzängste und Schlafstörungen. Ich versuche, sie zu beruhigen, denn Schlaf- und Beruhigungsmittel sind keine gute Lösung», sagt Caimi. Auch er selber kämpfte mit seiner Angst, als das Coronavirus Anfang Jahr die Schweiz erreichte und das Unvorstellbare geschah: die Basler Fasnacht wurde abgesagt. «Man wusste nichts über das Virus, und auch ich hatte Angst. Die leeren Gemüseregale haben mich erschreckt. Ich fragte mich, brechen nun auch die Lieferketten zusammen, und dann wurde die Armee mobilisiert. Dann noch die schlimmen Bilder aus Bergamo, die Massengräber.» Caimi hatte Verständnis für den angeordneten Lockdown. «Das hätte ich wohl auch gemacht.» Auch über die Medien ärgerte er sich zunächst nicht. 

Doch als um Ostern die ersten Wissenschaftler die bundesrätlichen Massnahmen hinterfragten, seien sie von den Medien fertiggemacht worden, so Caimis Beobachtung. «Und dann wollte das Parlament die Session verschieben, also seine Verantwortung nicht wahrnehmen. Das war eine Riesenenttäuschung», sagt er. Nach diesen Vorfällen beruhigte sich Caimi aber wieder parallel zur abflachenden Infektionskurve. Coiffeursalons und Baumärkte öffneten wieder. «Ich dachte, im Juli würde das Leben wieder normal.»

Was dann kam, erschütterte Caimis Vertrauen in die Politik und die Medien nachhaltig: Der Bund ermöglichte jedem, der Symptome hatte, sich gratis zu testen. «Wenn mehr getestet wird, dann gibt es auch mehr falsch-positive Ergebnisse. Dadurch steigen die Fallzahlen, die neue freiheitsbeschränkende Massnahmen zur Folge hatten.» Für Caimi haben die Medien versagt, die sich ohne Einordnung nur noch auf die Fallzahlen konzentriert hätten. «Das ist Schreckung der Bevölkerung», so Caimi. Auch wenn der Arzt erkennt, dass die Medien unterdessen teilweise die Corona-Massnahmen kritischer betrachten, werde noch zu wenig kritisch über die Corona-Regeln debattiert.

Im Dunstkreis der Verschwörungsgläubigen

Bis hierhin konnte ich Caimis Kritik nachvollziehen. Nur: Behördengläubige Journalisten gab es schon immer. Dafür braucht es keinen Bill Gates, der, so Caimi, Medienhäuser «schmiere». Und die kritischen Journalisten sind auch nicht verstummt. 

Während Caimi zu Recht sehr hohe Ansprüche an Journalisten stellt, scheint er diese bei umstrittenen Publizisten, wie dem Schweizer Historiker Daniele Ganser oder dem deutschen Youtuber Ken Jebsen, abzulegen. So glaubt er Ganser, wenn der behauptet, dass die Mainstreammedien letztlich von der Nato gesteuert seien. Und so schaut er häufig Ken Jebsen, der nicht nur «Experte» für Geopolitik, sondern plötzlich auch für Corona ist. Ganser und Jebsen stellen zwar kritische Fragen, suggerieren damit jedoch schon die Antworten. Ihre weitere Gemeinsamkeit: Die Welt wird gesteuert von irgendwelchen dunklen Kräften in den USA. Und damit sind wir im Milieu der Verschwörungstheoretiker, die in unübersichtlichen Zeiten das liefern können, was Politik und Medien in dieser Klarheit oft nicht anbieten können: Orientierung – Gut und Böse.

Der kritische Querdenker Caimi mag an den Corona-Demos in Deutschland und in der Schweiz, trotz unzähligen Belegen, keine Verschwörungtheoretiker, völkische Esotheriker, Impfgegner, Neonazis und Antisemiten erkennen, sondern nur friedliche, normale Leute, die für die Grundrechte einstehen. Dennoch bedient er bei seiner Ansprache in Zürich genau diese Leute: Merkel etwa ist das Feindbild schlechthin der Rechtsextremen, Soros das Symbol des jüdischen Weltlenkers, und Gates ist DAS böse Gesicht der Corona-Pandemie. «Mir geht es einzig um die Grundrechte, die mit den Corona-Massnahmen unnötig beschnitten werden», sagt Caimi. Aber es brauche viele Menschen auf der Strasse, damit die Kritik gehört werde.

Caimis Demo-Rede, die auf der Website seiner Praxis aufgeschaltet ist, liest sich wie eine klassische Verschwörungstheorie. So wird etwa aus seiner sorgenvollen Frage, ob etwa ein möglicher Corona-Impfstoff aus irgendwelchen Gründen zu rasch auf den Markt kommen könnte, die Gewissheit einer bösen Absicht: «Wir lehnen eure ungeprüften Impfstoffe, die ihr in Windeseile ohne Beobachtungszeit durchboxen wollt und für die ihr, mit eigenen Worten, ein Prozent heftige Impfschäden kalkuliert, ab!» 0,1 Prozent davon seien tödlich. Das würde, so Caimi, für Deutschland so viele Tote bedeuten, wie die Stadt Luzern Einwohner hat.

Bill Gates als Bösewicht

Und dieser böse Mann, der diese Impfungen weltweit durchsetzen möchte, sei Bill Gates. Caimi und ich sprechen lange über Gates, der, so Caimi, die Weltgesundheitsorganisation der UNO finanziere. Das sei ein Skandal, so Caimi. Eine Gesundheitsorganisation sollte ausschliesslich von den Staaten finanziert werden. Dennoch prangert er öffentlich nicht die Mängel bei der UNO-Organisation an, sondern Bill Gates. Mehrfach frage ich Caimi, weshalb er darauf komme, dass Gates Böses will. Gates wolle Geld machen, sagt er. Nur: Das wollen alle Pharmafirmen und Investoren, die nach einem Impfstoff forschen. Es ist ein Wettlauf um Milliardengewinne – Kapitalismus eben.

«Ich würde gerne in die Psyche des Ehepaars Gates sehen. Wenn ich am Morgen aufstehe und unzählige Milliarden auf dem Konto habe, möchte ich dann einfach nur noch mehr Geld, oder strebe ich dann nicht eher nach Macht und Kontrolle?», fragt sich Caimi. Jedenfalls sei Gates zuvorderst mit dabei, wenn es um Projekte geht mit Mikrochips unter der Haut, auf die Impfdaten gespeichert würden und mit denen künftig bargeldlos bezahlt werden kann.

Der Männerarzt glaubt nicht, dass unsere Behörden dem gesellschaftlichen Druck standhalten können und einen Impfstoff erst nach eingehender Prüfung freigeben werden. Das Vertrauen in den Staat – bei Caimi ist dieses seit Corna tief erschüttert. Seine Hoffnung setzt er auf die vierte Gewalt. So sagt er am Schluss unseres Gesprächs: «Die Demokratie braucht starke und freie Medien und ihre einstige berufliche Objektivität.»